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Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 16.05.2006
Aktenzeichen: 6 K 2809/05
Rechtsgebiete: EStG, AO


Vorschriften:

EStG § 32 Abs. 4 Nr. 1
EStG § 32 Abs. 4 Nr. 2
AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
AO § 175 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Rheinland-Pfalz

6 K 2809/05

Kindergeldstreitigkeiten

In dem Finanzrechtsstreit

...

hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 6. Senat -

im Einverständnis der Beteiligten

ohne mündliche Verhandlung

am 16. Mai 2006

durch

die Richterin am Finanzgericht Straub als Einzelrichterin

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Der Bescheid vom 7. September 2005 über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für das Kind D für den Monat August 2005 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger zu 7/8 und die Beklagte zu 1/8 tragen.

III. Das Urteil ist wegen der von der Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem Kläger für seine Tochter D Kindergeld für die Zeit ab Februar 2005 zusteht.

Der Kläger ist der Vater der am 29.09.1986 geborenen D.

Nach Erreichen des Realschulabschlusses wurde D in die gymnasiale Oberstufe des A-Gymnasiums in F aufgenommen; der voraussichtliche Schulabschluss war für das Jahr 2007 vorgesehen.

Aufgrund des Nachweises des Schulbesuches wurde dem Kläger für D über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus Kindergeld gewährt.

Zum 01.02.2005 meldete D sich von der Schule ab. Am 01.03.2005 bewarb sie sich bei den Johannitern für ein freiwilliges soziales Jahr. In der Zeit vom 18.04. bis 22.04.2005 absolvierte sie dort ein Praktikum.

In seinem Antrag auf Weiterzahlung des Kindergeldes gab der Kläger an, D beabsichtige, ab Mai 2005 ein freiwilliges soziales Jahr abzuleisten. Daraufhin wurde die weitere Gewährung des Kindergeldes verfügt.

Mit Schreiben vom 27.06.2005 fragte die Beklagte an, ob D das freiwillige soziale Jahr inzwischen aufgenommen habe. Der Kläger antwortete darauf mit Schreiben vom 30.06.2005, dass D die beabsichtigte Stelle bei den Johannitern noch nicht habe antreten können, da diese bis August 2005 für eventuelle Zivildienstleistende frei gehalten werden müsse. Mit Schreiben vom 11.07.2005 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass die Voraussetzungen der Berücksichtigung einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten nicht vorlägen und eine Weitergewährung des Kindergeldes nur dann möglich sei, wenn er nachweise, dass D Arbeit suchend oder einen Ausbildungsplatz suchend sei. Am 07.09.2005 teilte der Kläger der Beklagten telefonisch mit, dass D sich weder einen Arbeitsplatz, noch Ausbildungsplatz suchend gemeldet habe.

Mit Bescheid vom 07.09.2005 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für D ab Februar 2005 auf und forderte das für die Monate Februar bis September 2005 gezahlte Kindergeld in Höhe von 1.232,00 EUR zurück. Der dagegen gerichtete Einspruch, mit dem der Kläger vortrug, D habe sich bereits am 01.03.2005 für das freiwillige soziale Jahr bei den Johannitern beworben, wurde mit Einspruchsentscheidung vom 06.12.2005 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit seiner dagegen gerichteten Klage begehrt der Kläger die Gewährung von Kindergeld zumindest für vier Monate wegen Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten.

Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, während des Praktikums sei D die Stelle für das freiwillige soziale Jahr ab Mai 2005 in Aussicht gestellt worden. Danach habe sich jedoch heraus gestellt, dass die Stelle vorrangig mit Zivildienstleistenden zu besetzen sei; aus diesem Grund habe D die Stelle letztlich nicht erhalten. Der Kläger habe dies der Beklagten mit Schreiben vom 30.06.2005 mitgeteilt. Gleichwohl sei das Kindergeld bis September 2005 weiter gezahlt worden.

Für den Zeitraum nach Mitteilung der Verhältnisse sei der Beklagten die Rückforderung des Kindergeldes nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt. Weder § 70 Abs. 3 EStG, noch § 173 Abs. 1 Nr. 1 EStG könnten die rückwirkende Aufhebung rechtfertigen.

D habe es nicht zu vertreten, dass sie nicht ab Mai 2005 ein freiwilliges soziales Jahr habe ableisten können. Der Übergangszeitraum laufe zumindest so lange, bis das Kind eine Ablehnung erhalte.

Die Beklagte müsse sich an der Publikation des Bundesministeriums für Gesundheit festhalten lassen das unter dem Punkt "Familienleistungsausgleich" unter "Übergangszeiten" ausführe:

"Kindergeld wird auf die die Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten gewährt, wenn der nächste Ausbildungsabschnitt spätestens im 4. auf die Beendigung des vorherigen Ausbildungsabschnitts folgenden Monat beginnt; bleibt die Bewerbung um einen Ausbildungsplatz in diesem Ausbildungsabschnitt erfolglos, endet die Berücksichtigung mit dem Ablauf des Monats, in dem der Ausbildungswillige die Ablehnung erhält."

Daraus folge, dass der Gesetzgeber gerade nicht davon ausgehe, dass der Kindergeldanspruch rückwirkend gänzlich erlösche.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 7. September 2005 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 6. Dezember 2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt ergänzend zu ihren Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vor: Suche ein Kind nicht während eines Übergangszeitraums gleichzeitig einen Ausbildungsplatz, so bestehe ein Anspruch gemäß § 32 Abs. 4 Nr. 2b) EStG nur dann, wenn dieser die Dauer von vier Monaten nicht überschreite. Darüber könne erst entschieden werden, wenn der Übergangszeitraum abgelaufen sei. Der BFH habe mit Urteil vom 15.07.2003 (BStBl II 2003, 841) entschieden, dass für ein Kind, das sich in einer Übergangszeit von mehr als vier Monaten zwischen Ausbildung und Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres befinde, kein Anspruch auf Kindergeld bestehe. Dies gelte auch, wenn das Kind mit einer Überschreitung des viermonatigen Zeitraums nicht habe rechnen müssen. Der Gesetzgeber habe insoweit typisierend den Berücksichtigungszeitraum auf vier Monate beschränken dürfen.

Bei Weiterbewilligung des Kindergeldes habe die Beklagte davon ausgehen können, dass D voraussichtlich am 01.05. oder 01.06. ein freiwilliges soziales Jahr beginnen werde. Am 30.06. habe der Kläger mitgeteilt, dass das freiwillige soziale Jahr nicht angetreten wurde. Nach weiterer Sachverhaltsermittlung habe erst im September 2005 aufgrund der Mitteilung des Klägers, dass D sich weder Arbeitsplatz, noch Ausbildungsplatz suchend gemeldet habe, fest gestanden, dass ein Kindergeldanspruch nicht gegeben sei. Damit hätten die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 EStG vorgelegen. Der Sachverhalt sei nicht mit dem mit Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 24.11.2005 - 6 K 1578/05 vergleichbar.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist teilweise begründet. Die Rückforderung für den Monat August 2005 ist rechtswidrig. Im Übrigen ist der Rückforderungsbescheid rechtmäßig.

Die Tochter D des Klägers erfüllte im Zeitraum von Februar bis September 2005 keine der Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 1 und 2 EStG. Insoweit nimmt das Gericht Bezug auf die zutreffenden Ausführungen in der Einspruchsentscheidung (§ 105 Abs. 5 FGO).

Ergänzend wird ausgeführt, dass die Urteile des BFH vom 15.07.2003 Az. VIII R 75/00, VIII R 78/99 und VIII R 92/01 die Verwaltungsauffassung, dass bei einem Überschreiten des viermonatigen Zeitraums zwischen Beendigung der Schulausbildung und freiwilligem sozialem Jahr oder Wehr-, bzw. Zivildienst unabhängig von einem etwaigen Verschulden des Kindes ein Kindergeldanspruch auch nicht für die ersten vier Monate besteht, eindeutig bestätigen.

D ist auch nicht aufgrund des bei den Johannitern geleisteten Praktikums für den Monat April 2005 zu berücksichtigen. Das Praktikum wurde nämlich nicht im Hinblick auf eine beabsichtigte Berufsausbildung, sondern um eine Stelle für ein freiwilliges soziales Jahr zu erhalten, abgeleistet. Es hatte somit keinerlei Bezug zu einer Berufsausbildung.

Für die Monate Februar bis Juli 2005 konnte die Beklagte die Kindergeldfestsetzung ändern, nachdem sie durch das am 04.07.2005 bei ihr eingegangene Schreiben des Klägers vom 30.06.2005 darüber Gewissheit erlangt hat, dass D im Juni 2005 nicht das freiwillige soziale Jahr angetreten hat und damit weder für die Zeit von Februar bis Mai 2005 die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 2b EStG, noch für die Monate Juni und Juli 2005 die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 2d EStG vorlagen. Der BFH hat in seinemUrteil vom 15.07.2005 - VIII R 92/01 offen gelassen, ob die Änderung betreffend die Überschreitung des Vier-Monats-Zeitraums auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO allein oder i.V.m. § 175 Abs. 2 AO oder auf § 70 Abs. 2 EStG zu stützen ist. Hinsichtlich des Nichtantritts des freiwilligen sozialen Jahres ist § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO Rechtsgrundlage für die Aufhebung.

Für den Monat August 2005 fehlt es dagegen an einer Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung. Zwar bestand für diesen Monat materiell-rechtlich kein Anspruch auf Kindergeld. Es fehlt aber an einer verfahrensrechtlichen Änderungsmöglichkeit.

Die Änderungsvorschrift des § 70 Abs. 2 und 3 EStG besteht neben den Änderungsvorschriften nach der AO.

Nach § 70 Abs. 2 EStG ist eine zunächst rechtmäßige Kindergeldfestsetzung ab Eintritt einer relevanten Änderung der Verhältnisse aufzuheben; ein Ermessensspielraum besteht nicht. Im Zeitpunkt der Zahlung des Kindergeldes für den Zeitraum August 2005 stand aufgrund des am 04.07.2005 bei der Beklagten eingegangenen Schreibens des Klägers vom 30.06.2005 bereits fest, dass D für den Monat August 2005 weder die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 2b, noch Nr. 2d EStG erfüllte. Die Zahlung erfolgte rechtsgrundlos. Eine spätere Änderung der Verhältnisse fand nicht statt. Im Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheides am 07.09.2005 lagen somit die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 EStG nicht vor. Da der Kläger seinen Kindergeldanspruch nie auf § 32 Abs. 4 Nr. 1 und Nr. 2c EStG gestützt hat, lag in der Mitteilung, dass D sich weder Arbeit noch Ausbildungsplatz suchend gemeldet hatte, weder eine neue Tatsache, noch eine Änderung der für den Kindergeldanspruch relevanten Verhältnisse.

Nach § 70 Abs. 3 EStG kann eine fehlerhafte Festsetzung nur mit Wirkung ex nunc korrigiert werden. Diese Korrektur wurde mit dem Bescheid vom 07.09.2005 vorgenommen. Nach § 70 Abs. 3 EStG war zu diesem Zeitpunkt also eine rückwirkende Korrektur für den Monat August 2005 nicht mehr möglich. Lediglich die Änderung des laufenden Monats September 2005 konnte auf diese Vorschrift gestützt werden.

Eine Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO zuungunsten des Klägers hätte nur mit dessen Zustimmung vorgenommen werden können.

Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO liegen nicht vor; die Tatsache, dass keine der Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 - 3 EStG vorlagen, war im Monat August 2005 nicht neu, sondern aufgrund des Schreibens vom 30.06.2005 bekannt.

Weitere Änderungsvorschriften kommen nicht in Betracht.

§§ 130, 131 AO gelten nicht wegen des Vorrangs der §§ 172 ff. AO.

Die Festsetzung von Kindergeld nach § 70 Abs. 1 EStG ohne schriftlichen Bescheid ist keine Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, so dass auch eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO nicht möglich ist.

Auch eine Änderung nach § 129 AO scheidet aus. Es ist nicht offenbar, dass die Zahlung nur infolge eines mechanischen Versehens erfolgte. Aufgrund des Schreibens des Klägers vom 30.06.2005 war eine rechtliche Prüfung erforderlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 713 Zivilprozessordnung (ZPO).

Das Urteil erging gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.

Ende der Entscheidung

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